Teil 3: Nachtflug nach Rio

 

„Kommt jetzt das Flugzeug mit den Filmen?“ fragt mich meine sechsjährige Tochter und demonstriert damit schon eine für ihr Alter beachtliche Flugroutine. „Nein, erst im zweiten Flieger kommen die Filme“, antworte ich. Nachtflug nach Rio bedeutet für uns beide, dass wir nach Hause fliegen – zunächst von Hamburg nach Frankfurt und dann von dort weiter in die Tropen.

 

Fernweh, Heimweh, Flugangst, nerviger Alltag – die Rezeption der Überschrift „Nachtflug nach Rio“ und die damit beim Leser verbundenen Emotionen sind mit Sicherheit sehr unterschiedlich.

 

Für mich ist Fliegen die einzige Möglichkeit, meine Familie in Deutschland wiederzusehen. Wir fliegen einmal pro Jahr nach Deutschland und danach zurück nach Rio. Ein richtiger Vielflieger bin ich deshalb noch lange nicht. Fliegen ist für mich immer noch etwas Besonderes.

 

Und es ist und bleibt eine Herausforderung für mich! Die echten Vielflieger unter meinen Freunden kringeln sich wahrscheinlich vor Lachen auf dem Boden, wenn sie das lesen. Ich fliege ja auch nicht total ungern. Dazu bin ich zu gerne unterwegs und natürlich fasziniert mich auch das Unglaubliche am Fliegen. Diese irre schnelle Überwindung von Distanzen und die Tatsache, dass diese Riesenmonster wirklich abheben und man weit über den Wolken in ihnen drinnen sitzt und an seinem Tomatensaft schlürft.

 

Der Flug ist aber ein Preis, den man bezahlen muss, wenn man in Rio de Janeiro landen will.

 

Wenn ich in Deutschland von Brasilien und Rio berichte, löse ich Erstaunen und oft auch Reiselust und Neugier aus, gleichzeitig erklingt aber unisono: „Ach ja, alles schön und gut – wenn bloß der Flug nicht wäre!“. Der Flug ist das Hindernis, das viele nicht überwinden wollen oder können. Sicher ist ein Flug nach Rio de Janeiro je nach Saison nicht immer ganz billig zu bekommen. Ich meine aber zu spüren, dass die Kosten des Fluges nicht die eigentliche Hürde ausmachen. Ich denke hier an die Menschen, die wirklich gerne einmal nach Südamerika fliegen würden, die aber nicht die Sicherheitslage des Reiseziels oder Ähnliches  abschreckt, sondern einzig der Flug. Ich kann mir auch vorstellen, dass sogar hartgesottene WM-Fans sich letztlich nur durch den Flug vor einer Reise nach Brasilien abhalten lassen. Welche inneren Hemmschwellen werden nicht überwunden und wie ist der Flug in Wahrheit? Wie ist er, der Nachtflug nach Rio?

 

Wie gesagt, er ist eine Herausforderung. Es fällt mir schwer über Flugangst zu schreiben, weil ich die Angst gar nicht zulassen will. Aber natürlich ist sie da und man spürt sie auch bei manchen Mitreisenden, auch bei denen, die öfter fliegen. Darüber wird nicht geredet. Bei mir ist die Angst auch nicht permanent da, aber sie kommt in Wellen und besonders dann, wenn es längere Flugphasen mit Turbulenzen gibt.

 

Dort wo es 2009 die Air France Maschine auf dem Weg von Rio nach Paris über dem riesigen Atlantik erwischt hat, weil die Piloten in drei Minuten der Todesangst auf den Ausfall der Geschwindigkeitsanzeige hin wohl das Falsche taten (die verstörende Transkription des Dialogs im Cockpit während der letzten Minuten des Fluges ist auf Wikipedia zu finden), sind sehr oft große Unwetterzonen, die nicht zu umfliegen sind und die mit Turbulenzen einhergehen.

 

Ich habe aber auch schon vollkommen ruhige und turbulenzfreie Transatlantikflüge erlebt!

 

Als Vorbereitung auf die sozialen Verhältnisse in Brasilien und die Klassenunterschiede könnte das Boarding gelten. Während man die First Class mit ihren Schlafsitzen beim Einstieg nicht zu Sehen bekommt, muss man, um in die Holzklasse zu gelangen, an den geräumigen Plätzen der Business Class vorbei gehen, begleitet von den mitleidigen Blicken der bereits sitzenden Buisness-Class-Gäste. So fühlt es sich an, weniger privilegiert zu sein! Eine wichtige Erfahrung für Brasilien, die besonders in Rio de Janeiro im ständigen Wechselspiel von der Seite des Privilegierten, dann wieder aus der Sicht des weniger Privilegierten erlebbar ist.

 

Nach dem Start, den ich meistens genieße – Abheben ist toll – kommt die nächste Herausforderung immer dann auf mich zu, wenn der Fluggast in der Reihe vor mir seine Rückenlehne zurückdrückt und mir den wenigen Platz, den ich als Sitzriese mit 1,93m habe, noch weiter reduziert. Warum ich nicht am Notausgang sitze? Mit Kind nicht möglich!

 

Bei einem Langstreckenflug entsteht etwas Familiäres, ob man will, oder nicht. Die Fluggäste um dich herum werden dir vertraut. Schnell weißt du beispielsweise, mit welcher Stewardess nicht gut Kirschenessen ist. Die meisten Stewardessen und Stewards sind aber sehr nett und machen einen beinharten Job! Man gehört – bei allen Sympathien und spontanen Antipathien – einer Schicksalsgemeinschaft an: Alle wollen, dass die Zeit irgendwie schnell umgeht und dass man heil ankommt. Eine gewisse Ähnlichkeit zum Fanerlebnis beim Fußballspiel besteht in der Hinsicht, wenn man sich mit vollkommen Fremden total freut, nachdem das eigene Team ein Tor geschossen hat. Es ist dem Gefühl nach einer geglückter Landung sehr ähnlich, manchmal klatschen die Passagiere ja sogar.

 

Die Airlines zeigen übrigens bei der Gestaltung der kleinen Welten, die sie da über den Atlantik jetten lassen, kleine Unterschiede. Wann wird das Licht zum Schlafen ausgeschaltet? Wann werden welche Getränke serviert? Das ist durchaus verschieden.

 

Ansonsten dauert der Flug von Frankfurt nach Rio de Janeiro knapp 12 Stunden (stundenlang fliegt man dabei nur über Wasser und bekommt eine Ahnung von der Dimension des Atlantiks).

 

Es gibt verschiedene Strategien, diese Zeit herum zu bekommen. Ich habe von Reisenden gehört, die auf den Gebrauch von Schlaftabletten schwören. Kommt nicht in Frage, wenn man mit einem Kind fliegt. Sich schnell betrinken wäre möglich: Normaler Weise wird Wein, Bier und bei der Lufthansa auch Schnaps in ausreichender Quantität gereicht. Würde ich von abraten wollen. Filme sehen? Eigene Videomonitore mit einer großen Auswahl auch an aktuellen Filmen sind bei den meisten Airlines der Standard. Meine Tochter schwört darauf und freut sich wirklich auf den Langstreckenflug, weil sie sich endlich einmal Filme „satt“ gönnen kann. Mir hilft das alles nicht. Ich kann mich nicht auf so einen kleinen Monitor konzentrieren. Ich kann auch kaum schlafen und wenn, dann nur sehr kurz. Ich döse vor mich hin. Träume von Rio. Stehe nachts auf und gehe auf und ab und bewundere die vielen Fluggäste, die wirklich schlafen können. Irgendwie geht die Zeit trotzdem vorbei. Ich esse grundsätzlich alles, was mir serviert wird und schlage auch bei dem noch zu, was meine Tochter übrig lässt. Zwar läuft in der Mitte des Fluges die Uhr nach meinem Empfinden etwas zäh, aber irgendwann sind die 12 Stunden wirklich um. Die letzten zwei Stunden vergehen dann für mich meistens wie im Flug.

 

Mit etwas Glück bekommt man bei der Landung von der Schönheit Rio de Janeiros einen ersten Eindruck. Das Langstreckenflugzeug landet auf dem Internationalen Flughafen, der sich auf der Insel Ilha do Governador befindet. Nach langem Gleiten über Wasser setzten wir sicher auf brasilianischem Boden auf. Trotz der 12 Stunden Flugzeit bin ich am Zweifeln: Können wir wirklich schon in Rio sein? Ist es möglich? Ich bin froh, dass wir es wieder einmal geschafft haben, fühle mich ein wenig müde aber zu Hause. Meine Tochter hat nur drei Filme gesehen und ist nach 8 Stunden Schlaf topfit. Alle Ängste und Strapazen sind vergessen. Wir tauchen wieder ein in die Cidade Maravilhosa....

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Juergen Kuehn (Dienstag, 08 April 2014 20:38)

    Lieber Robert, gr. Glueckwunsch zu Deinen Bilder u. Berichten über Caravelas und die Fluege. Auf einem gr. Atlas meines Vaters habe ich Caravelas gefunden. Der Strand erinnerte mich an Santos, das wir von Sao Paulo aus besuchten. Wie legt Ihr die Entfernung von Rio zurueck? Was Du ueber Eure Fluege schreibst, ist ganz faszinierend. Aehnlich sind auch meine Erinnerungen, doch jetzt bin ich zu alt, um 12 Stunden zu fliegen! Als ich 1948 zum
    1. Mal mit einer Dacota aus dem blockierten Berlin flog, war ich 19 Jahre alt, und Eure Tochter hat mit jungen Jahren schon Transatlantikfluege erlebt! Du bist ein wunderbarer Schriftsteller, der seine Mails und Bilder veroeffentlichen muss!
    Herzliche Gruesse an Dich und die Deinen: Juergen