Teil 5: Wie gefährlich ist Rio de Janeiro?

Ägyptische Tigermücke in unserem Büro
Ägyptische Tigermücke in unserem Büro

22. April 2014

 

Mücken:

Wie die Flugzeuge über der Brücke nach Niteroi immer in der gleichen Flugbahn den Stadtflughafen Santos Dumont ansteuern, so setzen heute morgen die Moskitos alle zwei Minuten ebenso immer in gleicher Bahn zum Landeanflug auf meinen Körper an, wo aber mein aufgeladenes Racket (brasilianisch: Racketschiii) auf sie wartet und sie alle mit einem lauten Knall und einem Blitz ziemlich theatralisch enden lässt. Ich liege noch im Bett in irgendeiner Pousada in der Nähe von Saquarema – es ist Ostern 2014. Verdammt viele Mücken gibt es hier, aber richtig bedroht fühle ich mich nicht. Anders ist die Situation in meiner Arbeitsstelle in Botafogo. Dort fotografierte ich neulich eine ägyptische Tigermücke. Diese Mückenart kann Dengue übertragen und meine Kolleginnen und ich tanzen schon morgens um 7.00 Uhr wilde Tänze mit dem Racket, um den Tigermücken im Büro den Garaus zu machen.

 

Let`s kill mosquitos together
Let`s kill mosquitos together

Das Racket gehört zur Standardausstattung der Haushalte Rio de Janeiros. Es sieht aus wie ein Tennisschläger. Statt einer Tennisbespannung gibt es im Schlägerkopf ein enges Netz aus dünnen Drähten, das bei Knopfdruck unter Stromspannung gesetzt wird. Die Mücken explodieren mit einem lauten Knall und einem grellen Blitz. Die Rackets kauft man in der Regel bei fliegenden Händlern zum Beispiel im Stau auf der Autobahn, wenn einem das nicht zu gefährlich ist. Dengue ist gefährlich.

 

 

Mein Rio-Tipp: Kauf dir ein Racket und werde vom Gejagten zum Jäger.

 

Überfälle:

Cidade alerta heißt eine der beliebten Vorabendfernsehsendungen, die die neuesten Überfälle aus Rio und Sao Paulo auf die großen Flachbildschirme bringt. Mehr oder weniger verpixelte Videoaufnahmen von Überwachungskameras zeigen mehr oder weniger brutale Raubüberfälle. Ab und zu werden auch Livebilder direkt aus dem Hubschrauber gesendet, wenn es eine Verfolgungsjagd oder Geiselnahme gibt. Nach etlichen Wiederholungen und Ausschnittsvergrößerungen kommt der Moderator ins Bild, der sich über die üblen Verhältnisse in der Gesellschaft beklagt und die Verbrecher lautstark beschimpft. Wer sich diese Sendungen anschaut, muss den Eindruck gewinnen, dass man sich in Rio oder Sao Paulo ständig in Höchstgefahr befindet. Kann man die Fernsehbilder relativieren, in dem man sich klar macht, dass in den Millionenmetropolen schon statistisch die Ausbeute an Überfallvideos größer sein muss, als in einer deutschen Kleinstadt? Nützt es etwas, wenn ich bekunden kann, dass ich in fünfeinhalb Jahren in Rio de Janeiro noch nicht überfallen wurde? Was kann man auf die Frage antworten, die immer gestellt wird: Wie gefährlich ist Rio de Janeiro?

 

Vielleicht hilft ein Zitat, das der weltbekannte brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho vor einer Woche twitterte: „You have to take risks...“

 

In Rio ist es potentiell gefährlich. Aber es hat eben sehr viel zu bieten. Dass ich trotz der Gefährlichkeit ziemlich entspannt durch die wunderschönen Straßen spaziere liegt bestimmt an dem Glück, das ich bisher hatte. Vielleicht auch an einer gewissen Vorsicht? Die Attraktivität Rio de Janeiros überstrahlt in meiner Wahrnehmung die unangenehme Empfindung von Gefahr. Auch wenn ich einige Freunde habe, die schlimme Überfallerfahrungen hinter sich haben und Rio trotzdem die Treue halten, wage ich nicht zu beurteilen, was mit meinem Riobild passieren würde, nachdem ich so eine Situation überstanden hätte.

 

Mein Rio-Tipp: Hab nicht zu viel und nicht zu wenig Angst. Verlass dich auf dein Bauchgefühl. Entdecke deine Instinkte!

 

Straßenverkehr

Es ist 18.00 Uhr und die Menschen drängeln sich auf dem Bürgersteig der Rua Figueiredo Magalhães in Copacabana. Es gibt so viele Menschen, dass man zum Vorankommen sogar die vierspurige Einbahnstraße (es gibt fast ausschließlich Einbahnstraßen in Rio) betreten muss, auf der sich der Verkehr um diese Uhrzeit und auch sonst fast immer staut. Plötzlich piept es laut und zwei orange Lämpchen blinken abwechselnd vor dem Ausgang einer Tiefgarage. Wie auf Knopfdruck kommt die Menschenmasse auf dem Bürgersteig vor der Einfahrt zum abrupten Stehen. Gut so, denn im nächsten Moment schießt ein Geländewagen aus der Einfahrt – das Ignorieren der Signale wäre töricht gewesen! Diese Szene ist signifikant für die Rechte der Fußgänger hier: Es gibt keine! Als Fußgänger oder Radfahrer bist du ein Nichts. Die Autos warten nicht und haben immer Vorfahrt, selbst die wenigen Zebrastreifen in Rio sind wirkungslos. Es gilt das uneingeschränkte Recht des Stärkeren. Wenn man selbst Auto fährt, gewöhnt man sich erschreckend schnell an diese Hierarchie und muss eigentlich nur auf die Busse aufpassen, die stärker als die Autos sind und dich ständig schneiden und abdrängen. Fußgänger springen dagegen ängstlich zur Seite, wenn du angefahren kommst.

 

Apropos Busse: Es gibt ein dichtes Omnibusnetz und die Busse fahren auch in kurzen Abständen, sodass Busfahren durchaus Sinn machen kann. Wer mitgenommen werden will, muss an der Straße ein Handsignal geben. Der Fahrer hält (meistens) und öffnet die Tür, danach ist es aber mit jeder weiteren Rücksichtnahme vorbei. Egal ob eine alte Oma oder ein Kleinkind noch am Einsteigen ist: Brachial wird jede kurze Straßenfreiheit im sonst stehenden Verkehr Rios genutzt, um zunächst erst Vollgas zu geben um wenige Sekunden später eine Vollbremsung durchzuführen. Wer sich nicht sofort nach dem Einsteigen mit beiden Händen fest an eine Stange klammert, fliegt durch den Bus.

 

Mein Rio-Tipp: Versuche den Verkehrswahnsinn vom Unterhaltungswert her zu betrachten. Jeder Spaziergang wird zu einer Herausforderung an deine Wachsamkeit. Genieße das starke Temperament des langsamen Vorankommens!

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Kommentare: 1
  • #1

    Robert (Mittwoch, 23 April 2014 00:03)

    Nachtrag: Heute endete mein Copacabana-Spaziergang absolut unentspannt. Genau in der Straße, in der Freunde von uns wohnen (und wo ich für meine Tochter einen deutschen Hustensaft holen wollte) gab und gibt es zur Stunde noch Schussgefechte zwischen Polizei und Favelabewohnern.