Teil 6: Feuergefecht in Copacabana

23. April 2014

 

Als ich gestern den Teil 5 meines WM-Blogs mit dem Titel „Wie gefährlich ist Rio de Janeiro“ veröffentlichte, hatte ich noch keine Ahnung, wie plastisch die Antwort auf meine Frage schon am Abend auf mich warten würde.

 

Zu Fuß hatte ich mich auf den Weg gemacht, Freunde im gemeinsamen Stadtteil Copacabana zu besuchen. Irgendwie hatte ich schon ein mulmiges Gefühl, als mein Telefon piepte und Fabian mich warnte, dass in seiner Straße etwas los sei. In unmittelbarer Nachbarschaft zu der wunderschönen Straße, in der er mit seiner deutschen Familie wohnt, der Rua Sa Ferreira, liegt ein Komplex der Favelas Cantagalo und Pavão-Pavãozinho. Als ich mich auf der Rua Raul Pompéia der Sa Ferreira nähern wollte, knallte es auf einmal und ich sah eine große Rauchwolke über dem Tunnel, der durch den Komplex der Favelas hindurchläuft und der eine wichtige Verkehrsader im Stadtteil darstellt. Der Fahrradboy einer Wäscherei in der Rua Raul Pompéia rief PUMP GUN, PUMP GUN und dirigierte mich und noch zwei weitere Passanten ins Innere der Wäscherei. Andere Passanten hatten offensichtlich weniger Angst. Einer stellte sich mitten auf die Straße und zückte sein Handy, um Fotos zu machen. Es folgte ein heftiger Schusswechsel und alle Passanten suchten Schutz in Läden oder das Weite. Polizeiwagen vor dem Tunnel - Blitze, Schüsse und viel Qualm auf dem Berg über dem Tunnel. Der Wäschereibetreiber hatte nach fünf Minuten genug davon und zog das Metallrollo hinunter, um seinen Laden zu schließen. Ich überquerte laufend die Raul Pompéira und war nach kurzer Zeit auf der Avenida Atlântica, der weltbekannten sechsspurigen Promenadenstraße an der Atlantikküste der Copacabana. Hier war alles wie immer. Menschen flanierten oder saßen in den Strandbars. Nur an der Stelle, wo die Sa Ferreira in die Avenida Atlântica mündet, hatte sich eine kleine Menschenmenge gebildet, die den Rauch sehen konnte, die Schüsse waren auch zu noch hören. 20 Minuten später war ich zu Hause.

 

Auf Globo News verfolgte ich die Liveberichterstattung im Fernsehen. Begleitet von Telefonaten mit Fabian, dessen Familie zwar in unmittelbarer Nähe des Feuergefechtes war, aber zum Glück in der relativen Sicherheit ihrer Wohnung. Auch in die Sendungen Cidade Alerta und Brasil urgente zappte ich kurz rein. Überall wurde von „Demonstrationen“ oder „Protesten“ der Favelabewohner gesprochen. Ich fand beide Begriffe nicht treffend für das, was ich gesehen und gehört hatte – nämlich ein Feuergefecht mit schweren Waffen. Spiegel Online schreibt heute von „Krawallen“ die in Rio toben– genauso wenig treffend, wie ich finde.

 

Die Ursache dieser Schießerei in der Südzone Rio de Janeiro, exakt dort wo die beiden touristischen Stadtteile Copacabana und Ipanema auf einander treffen, war allem Anschein nach angeblich heftiger Übergriff von einigen Polizisten der UPP, die einen beliebten jungen Tänzer zu Tode geprügelt haben sollen. Daraufhin wurden Polizisten von Anwohnern angegriffen – also weder Krawall, noch Demonstration, am ehesten noch Protest.

 

Ein anderer Artikel auf Spiegel Online „Sechs Minuten bis zum Tod“ von Katharina Peters beleuchtet die Hintergründe detaillierter und liefert eine hochinteressante Quelle mit dem Link zu dem Video „Made in Brasil“, in dem angeblich genau jener junge Tänzer sein Leben in Rio zeigt und am Ende von Polizisten erschossen wird. Ich habe gerade mit Fabian telefoniert: Weder er noch ich haben bisher einen Verweis auf das Video in den brasilianischen Medien finden können. Kommt aber bestimmt bald und ich bin gespannt auf die Reaktionen...

 

Ätzend finde ich die Häme und die allem Brasilianischem gegenüber aufgebrachte Abfälligkeit einiger Kommentare auf die Spiegel Online-Artikel. Wie man denn nur eine WM in so einem Land stattfinden lassen könnte usw.

 

Zwar handelt es sich hier zweifelsohne um einen schweren Zwischenfall. Feuergefechte und Straßensperrungen solchen Ausmaßes mitten im Touristengebiet hat es lange nicht mehr gegeben. Sie sind eine Katastrophe für das Image von Rio de Janeiro und die bevorstehende WM. So etwas sollte sich nicht wiederholen!

 

Auf der anderen Seite könnten sie aber auch Merkmal dafür sein, dass sich die Bevölkerung nicht mehr alles gefallen lässt. Die WM zieht alle Blicke auf Brasilien und ist im Grunde so etwas wie eine Generalinspektion, die Brasilien nur gut tun kann. Dazu braucht es aber eine faire Bewertung und keine Vorverurteilung und vor allem keine Häme.

 

Heute ist es wieder ruhig an der Copacabana. Ich war schon auf dem Wochenmarkt und Fabian mit seinem Hund in der Rua Sa Ferreira spazieren. In diesem Moment toben definitiv keine Krawalle in Rio. Hoffentlich bleibt es so!

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jürgen Kühn (Donnerstag, 24 April 2014 14:33)

    Lieber Robert,
    erneut vielen Dank für Deinen lebendigen Bericht. Wir machten uns Sorgen um Euch, doch offenbar wurdest Du ja nur zufällig Zeuge der Schießerei.
    Hier wechseln die Zeitungen mit ihren Meldungen
    über die großartigen Vorbereitungen und über die sozialen Spannungen im Land. Wir sind Dir sehr dankbar für die aktuelle Berichterstattung. Alles Gute für Delaine, Giovanna und Dich
    Dein Jürgen